Zum Hauptinhalt springen

Jüdisches Leben in Nieder-Olm

Im Jahr 1855 war die Zahl der jüdischen Einwohner in Nieder-Olm auf 35 Personen angewachsen, was genügte um eine Religionsgemeinde zu bilden. Zuvor zählten die einheimischen jüdischen Familien aus Nieder-Olm zu der israelitischen Gemeinde von Hahnheim. 1858 konnte eine kleine Synagoge errichtet werden, die zunächst auch der Namensgeber der „Synagogengasse“ wurde.
Kurz darauf wurde unweit des christlichen Friedhofs eine eigene jüdische Begräbnisstätte angelegt. Die Nähe der Friedhöfe ist ein Indiz für das friedliche Zusammenleben der jüdischen und christlichen Bevölkerung in Nieder-Olm zu dieser Zeit.
1884 kam es zu den ersten judenfeindlichen Kundgebungen.
Doch schon ab 1881 wurden Obstbäume gewaltsam zerstört, Drohbriefe verschickt, Brandstiftung begangen und der jüdische Friedhof verwüstet. Auf einem antisemitischen Maskenzug wurden „Judenpuppen“ hingerichtet, 1892 folgte eine öffentliche Antisemiten-Versammlung, die Dr. Otto Böckel leitete und auf der er vor ca. 1000 Bauern eine eineinhalbstündige antisemitische Rede hielt.
Als Folge auf die vielen Anschläge und das Verhalten der Bevölkerung zogen viele jüdische Familien in die Stadt Mainz oder weiter fort. Sodass sich ihre Anzahl von 64 (1880) auf 32 (1900) halbierte. 1930 lebten in Nieder-Olm nur noch 19.
Zur Zeit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begannen vereinzelt physische Attacken der SA. Das „Nieder-Olmer Nachrichtenblatt“ veröffentlichte antisemitisch ausgerichtete Artikel. Die Synagoge wurde an den „Nachbarn“ verkauft und fortan als Lagerraum benutzt. 1945 letztlich dann durch Luftangriffe auf Nieder-Olm zerstört.

Die Stolpersteine in Nieder-Olm

„Man fällt nicht über die Stolpersteine, du stolperst mit Kopf und Herz.“

Am 07. November 2012 wurden 30 Stolpersteine vom Künstler Gunter Demnig in Nieder-Olm verlegt.
Verschiedene Vereine übernahmen für jeweils einen Stolperstein die Patenschaft, stifteten diese also.
Die Stolpersteine sind Erinnerungen an die Opfer des Nationalsozialimus‘, die vertrieben, deportiert oder ermordet wurden.
Sie werden meist vor den letzten freigewählten Wohnsitze der Opfer eingelassen, in der Regel von Gunter Demnig selbst.
Dem Künstler geht es dabei um das individuelle Gedenken, weshalb jeder Stolperstein den Namen von nur einer Person trägt. Die Nationalsozialisten versuchten Menschen zu Zahlen zu machen, sie zu vernichten und die Erinnerungen an sie auszulöschen. Dem wirken die Stolpersteine entgegen.
Sie haben unterschiedliche Funktionen, bringen Namen und Lebensgeschichten der Menschen zurück, helfen so zu gedenken. Sie dienen dazu in den Gemeinden die lokale Geschichte aufzuarbeiten und integrieren nachwachsende Generationen in die Recherche und Aufarbeitung.
Die 30 Stolpersteine in Nieder-Olm stehen für die jüdischen Bewohner unserer Stadt.
Andere Opfer des Nazi-Regimes haben derzeit noch kein Gedenken bekommen, dies ist jedoch in baldiger Aussicht.
Sie berichten von insgesamt 15 Deportationen, nach Theresienstadt, Auschwitz, Treblinka.. und 14 Ermordungen eben dort.
15 Personen jüdischen Glaubens konnten vor ihrer Deportation fliehen, nach Uruguay, Südafrika oder in die USA, wie auch auf dem Bild zu sehen ist.

„Eine Person ist erst dann vergessen, wenn man sich nicht mehr an ihren Namen erinnert.“ - aus dem Talmud, einem der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums.

Besuch der Schwestern Zeller

Vom 24.09. bis 26.09. durfte Nieder-Olm Joan und Eileen Zeller willkommen heißen.

Sie sind unmittelbare Nachfahren der ehemals hier ansässigen jüdischen Familie Goldschmitt.

Ludwig und Frieda Goldschmitt (geb. Haas) flohen am 07.05.1936 aufgrund des aufkommen Nationalsozialismus und der daherkommen Vertiefung des Antisemitismus, mit ihren Töchtern Liesel & Ruth über Paris nach Baltimore in Amerika.

Durch ihre Flucht überlebten sie den Holocaust. Joan und Eileen, die Töchter von Ruth, wuchsen in Baltimore in einer jüdischen Gemeinde auf.

Sie besuchten, auch mit ihren Eltern unsere Stadt schon des öfteren. Ihre Wurzeln sind ihnen sehr wichtig, das Erinnern, Erfahren und die Geschichten sind ein Teil ihres Lebens. Auch wenn sie hier nie lebten, fühlt es sich für dennoch so an. So sprach Joan vor ihrem ersten Besuch bereits davon „back to germany“ zu reisen.

Der letzte Besuch ist jedoch 25 Jahre her gewesen, weshalb ihrer Ankunft direkt eine Stadtführung am Montag zur alten Synagoge, dem jüdischen Friedhof und dem Elternhaus ihrer Mutter folgte, vor dem sie erstmals die für ihre Familie gelegten Stolpersteinen betrachten konnten. Am Abend wurden die beiden von der evangelischen und katholischen Kirchengemeinde zu einem Austausch im Camarahaus eingeladen.

Dienstags folgte der offizielle Empfang durch den Stadtbürgermeister Dirk Hasenfuss. Anschließend hatten Joan und Eileen einen Vortrag für einige Englisch LKs der IGS Nieder-Olm vorbereitet, bei dem sie das Schicksal ihrer Familie vorstellten, aber auch die Motivation hinter ihrem Interesse daran verdeutlichten und auch auf aktuelle Themen Stellung bezogen.

„Niemand von uns ist verantwortlich für die Dinge die geschehen sind, doch haben wir alle die Verantwortung für unser jetziges und künftiges Handeln.“ Den Schwestern ist es wichtig nicht zu vergessen was passiert ist, sondern die Geschehnisse bewusst anzunehmen und es eben „besser zu wissen und zu tun“.

Literaturnachweise