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Heinz Kerz – Leben und Schicksal eines NS-Verfolgten aus Nieder-Olm

Heinz Kerz wird am 15. April 1920 in Nieder-Olm geboren. Zu dieser Zeit ist die Gemeinde, wie auch das übrige Rheinland, von den Franzosen besetzt- ein Resultat der Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg. Auch Soldaten aus den französischen Kolonien in West- und Nordafrika sind in den Besatzungsgebieten stationiert.

In der französischen Armee befinden sich deshalb auch Schwarze Soldaten, sie machen ungefähr 30 Prozent aus. Sie waren teilweise mehrere Jahre im Rheinland stationiert, und so ergaben sie hier und da Beziehungen zu einheimischen Frauen, manche von ihnen wurden auch schwanger.

Heute schätzt man, dass im Rheinland zwischen 400 und 1000 Kinder aus solchen Beziehungen hervorgingen. Oftmals waren die Kinder jedoch nicht willkommen. Menschen beschimpften sie als „Rheinlandbastarde“ oder „Schwarze Schmach“.

Auch die Mütter hatten darunter zu leiden, auch sie wurden oftmals ausgegrenzt und beschimpft. Später griffen die Nationalsozialisten diese rassistischen Parolen auf und benutzten sie für ihre eigene Propaganda.

Ob und welche Repressalien die Mutter von Heinz Kerz erfuhr, ist nicht überliefert. Was allerdings bekannt ist, ist ihr Name. Sie hieß: Maria Kerz und war eine gebürtige Nieder-Olmerin.

Vom Vater ist so gut wie nichts bekannt

Der Vater von Heinz Kerz ist vermutlich ein aus dem Senegal stammender Besatzungssoldat, auch wenn die vorhandenen Dokumente ihn als Marokkaner angeben.

Heinz Kerz hieß eigentlich Heinrich Kerz. Seine Mutter hatte ihm den Namen Heinrich gegeben. Aber alle nannten ihn lieber Heinz, die Kurzform für Heinrich. Als Heinz‘ Mutter Maria Kerz starb, hieß sie mit Nachnamen Baumgärtner. Das heißt, Maria Kerz hatte irgendwann noch einmal geheiratet und zwar einen Herrn Baumgärtner. Gemeinsam bekamen sie drei Kinder. Heinz Kerz wuchs also nicht als Einzelkind auf, er hatte drei Halbgeschwister. Ein Foto mit Heinz und seinen Geschwistern ist nicht überliefert, auch kein Bild an der Seite seiner Mutter oder seines Stiefvaters.

Heinz Kerz war nicht das einzige Kind in Nieder-Olm, das aus einer Beziehung zwischen einer Nieder-Olmerin und einem Schwarzen Soldaten hervorging. Drei Tage vor der Geburt von Heinz Kerz erblickte Alfred Fahr das Licht der Welt. Seine Mutter war eine gebürtige Nieder-Olmerin: Elisabeth Fahr. Der Vater, ein aus dem Senegal stammender Besatzungssoldat, von dem sonst auch nichts weiter bekannt ist.

Heinz Kerz und Alfred Fahr wohnen nur wenige Meter voneinander entfernt, Heinz in der Kreuzstraße15 – das ist in der Nähe der evangelischen Kirche. Von dem Haus haben wir jedoch kein Foto. Das Haus in der Kreuzstraße Nummer 15 existiert nicht mehr. Soweit bekannt, war es ein schlichtes Holzhaus zwischen der heutigen Nummer 13 und 17. Interessant ist dabei, dass es heute dort ein Haus gibt mit der Nummer 15 A – aber wie gesagt, das Haus mit der Nummer 15 ist verschwunden.

Alfred Fahr wohnte in der „Hindenburgstraße 93“, die heutige Pariser Straße.

Über Heinz Kerz ist bekannt, dass er als Jugendlicher gerne und gut im Verein Fußball gespielt hat. Er trug den Spitznamen „Der schwarze Bomber“. Außerdem ging er mit Freunden gerne ins Nieder-Olmer Freibad. Bis dahin führte er ein unbeschwertes Leben.

1933 – Der Nationalsozialismus

Doch mit der Machtübernahme der Nazis im Jahr 1933 wird vieles anders. Dass die Stimmung sich ändert, bekommt auch Heinz Kerz zu spüren. Er ist in Nieder-Olm geboren, Sohn einer Nieder-Olmerin und eines französischen Soldaten und er hat eine Schwarze Hautfarbe. Den Nationalsozialisten gefällt das gar nicht – für sie ist Heinz Kerz ein Mensch zweiter Klasse.

Schon ein Jahr nach der Machtübernahme, da ist Heinz gerade einmal 14 Jahre alt, werden die drei im Ort bestehenden Sportvereine zu einem Sportverein zusammengefasst. Im Juni 1934 ist die Turn- und Sportvereinigung 1893 e.V. (kurz TuS 1893, der heutige TV Nieder-Olm) fest in der Hand der NSDAP Ortsgruppe Nieder-Olm, dessen Leiter war zu der Zeit Hugo Eckes.

Der Vorsitzende des Vereins, Valentin Schwarz, der sich jetzt „Vereinsführer“ nennt, prangert bei der Bezirksführung an, dass ein Schwarzer Mensch in der Fußballmannschaft mitspielen darf.

Heinz Kerz wird vom TuS Nieder-Olm ausgeschlossen. Auch an den jährlichen Schwimmwettbewerben darf er nicht mehr teilnehmen, diese seien ausschließlich Mitgliedern nationalsozialistischen Organisationen wie der SA, HJ und dem BDM vorbehalten, so den Überlieferungen zufolge.

Doch es gab auch Menschen, die auch in dieser düsteren Zeit zu Heinz Kerz standen. So einer war zum Beispiel Georg Mann (1920-1996). Heinz und Georg verband eine lebenslange Freundschaft. Auch Alfred Fahr hatte neben Heinz Kerz weitere enge Freunde, wie zum Beispiel Karl Stenner (gefallen 1942), Heini Stauder und Hans Barber (gefallen 1941).

Dennoch sollte es für Heinz und Alfred sehr schlimm werden. Im Zuge einer geheimen, illegalen Aktion, die auf einen direkten „Führerbefehl“ zurückging, wurden Heinz Kerz und Alfred Fahr im Jahr 1938 von Nieder-Olm nach Darmstadt in ein Krankenhaus gebracht. Die beiden Männer waren gerade einmal 18 Jahre alt.

Im Krankenhaus wurden sie gegen ihren Willen und unter Zwang sterilisiert. Das menschenverachtende Ziel, dass die Nazis damit verfolgten, war die Verhinderung der Fortpflanzung von „minderwertige Rassen“ – und dazu zählten sie auch Kinder aus Mischehen.

Nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung beträgt die offizielle Zahl der Sterilisierungsopfer im Rheinland 436, jedoch schätzt man die Dunkelziffer weit höher ein. Insgesamt wurden von den Nazis etwa 400.000 Menschen zwangssterilisiert.

Nach der Zwangssterilisation kehrte Heinz Kerz zurück nach Nieder-Olm. Da ihm aufgrund seiner Hautfarbe von den Nationalsozialisten eine Berufsausbildung verboten wurde, musste er sich als Hilfsarbeiter, Lagerarbeiter und Kraftfahrer durchschlagen.

Am 14. Mai 1943 wurden Heinz Kerz und Alfred Fahr von den Nationalsozialisten verhaftet. Die beiden waren zu dem Zeitpunkt 23 Jahre alt. Sie wurden in sogenannte „Schutzhaft“ genommen. Doch mit Schutz hatte das gar nichts zu tun. Sie wurden deportiert und kamen eine Woche später, am 21. Mai 1943, im Konzentrationslager Dachau an.

Im Konzentrationslager mussten Heinz Kerz und Alfred Fahr Zwangsarbeit leisten. In einem Außenlager von Dachau fertigten sie Flugzeugteile an. Heinz Kerz gab später im Wiedergutmachungsverfahren an, dass er sich bei dieser Arbeit einmal so stark am Rücken verletzte, dass er  danach sechs Wochen im Krankenrevier verbringen musste. Noch Jahre später leidet er unter ständigen Rückenschmerzen. In der Akte, die sich im Landesarchiv Speyer befindet, ist zu lesen: Als Verfolgungsleiden wurden 1.) Sterilität nach Sterilisierungs-Operation, 2.) Restzustand nach einer durchgemachten Entzündung der linksseitigen Ischiasnerven anerkannt. Der ärztliche Gutachter hat auf Grund dieser Leiden bei mir eine Erwerbsminderung von 20% festgestellt. Diese Feststellung stimmt nicht mit meinem körperlichen Zustand und meiner Arbeitsfähigkeit überein.“

Zwei Jahre lang arbeiteten Heinz Kerz und Alfred Fahr unter Menschen unwürdigen Bedingungen. Neben der Rückenverletzung erkrankt Heinz Kerz auch am Herzen.

Nach dem Krieg

Im April 1945 wurde das Konzentrationslager Dachau von den Amerikanern befreit. Heinz Kerz kehrte in seine Heimatstadt Nieder-Olm zurück. Wie Alfred Fahr die beiden Jahre im KZ überstanden hat, ist nicht bekannt. Bekannt ist allerdings, dass er 1954 in Wiesbaden heiratet und irgendwann mit seiner Frau in den schwäbischen Landkreis Lindau, nach Heimenkirch umzieht, in ihren Heimatort. Er starb im Jahr 2005 im portugiesischen Faro, wo er immer gern Urlaub gemacht hat. Er wurde stolze 85 Jahre alt. Laut seiner Nachfahren wurde er in seinem Wohnort Heimenkirch beigesetzt.

Heinz Kerz blieb hingegen in Nieder-Olm. Dem Ort, in dem er mutmaßlich eine normale Kindheit verbrachte und später von den Nazis verfolgt wurde, die ihn zwangssterilisieren ließen und ihn dann zur Zwangsarbeit ins Konzentrationslager steckten.

In Nieder-Olm heiratete er Dina Maier, mit der er schon die Grundschule besucht hat.

Dina Maier war eine lebenslustige und sehr herzliche Frau. Es soll eine glückliche Ehe gewesen sein, berichten Zeitzeugen. Gemeinsam beziehen sie in den 60er-Jahren ihr eigenes Haus in der Wingertsmühle Nummer 5.

Heinz Kerz nimmt nach Kriegsende auch sein Fußballtraining wieder auf und trainiert die Jugendmannschaften des FSV Nieder-Olm.

Heinz Kerz arbeitet als Kraftfahrer. Mit 50 Jahren absolviert er seinen Schwimmlehrerschein und bringt Kindern in Nieder-Olm das Schwimmen bei.

Daneben engagiert er sich in der Kommunalpolitik. Er sitzt für die SPD im Gemeinderat. Auch an der Fastnacht nimmt er gerne teil.

Heinz Kerz ist vielen in Nieder-Olm als freundlicher, netter, sympathischer Mann in Erinnerung geblieben. Er war beliebt bei den Kindern, denen er das Schwimmen beibrachte, er engagierte sich in der Gemeinde und war überall hochgeschätzt.

Doch das Unrecht, dass man ihm angetan hatte, hatte er nicht vergessen. Die Zwangssterilisation - in den 50er-Jahren reicht er deshalb Klage ein. Das Verfahren endet mit einem Vergleich. Er bekommt eine Geschädigtenrente aufgrund von Erwerbsminderung.

Die Deportation ins Konzentrationslager und die jahrelange Zwangsarbeit – auch da verlangt er Gerechtigkeit und zieht vor Gericht. Er erhält eine Haftentschädigung für seine Zeit im KZ Dachau, sowie Entschädigungen für die Schäden an Körper und Gesundheit, die er in KZ-Haft erlitten hat. Aus der Akte des Landesarchivs Speyer: „Das beklagte Land verpflichtet sich, an den Kläger vom 1. Oktober 1953 ab eine Geschädigtenrente zu zahlen, deren Berechnung eine 30prozentige Erwerbsminderung des Klägers zu Grunde zu legen ist. Weiter: Das beklagte Land erkennt an, dass das bei dem Kläger festgestellte Leiden durch Verfolgung verschlimmert wurde.“

Im Mai 1980 - Heinz Kerz arbeitet inzwischen als leitender Bademeister im Nieder-Olmer Schwimmbad – muss er aus gesundheitlichen Gründen aufhören. Bei der Verabschiedungsfeier bekommt er zum Dank vom Bürgermeister der Gemeinde, Dr. Hans-Valentin Kirschner, eine Ehrenurkunde überreicht.

Nur ein halbes Jahr später, am 6. November 1980 stirbt Heinz Kerz im Alter von 60 Jahren. Er erleidet einen Herzinfarkt und stirbt in Mainz.

Seine Frau Dina stirbt nur sechs Jahre später, im Alter von 65 Jahren.

Beerdigt werden beide auf dem Nieder-Olmer Friedhof. Doch das Grab gibt es nicht mehr, es wurde vor wenigen Jahren aufgelöst. Heute erinnert nur noch der Name der Sporthalle – die Heinz-Kerz-Sporthalle - an das Leben dieses besonderen Mannes.

Text: Anuschka Weisener, Stadtarchiv Nieder-Olm

Bildquellen:
Privatarchiv Peter Weisrock
Privatsammlung Irmtrud Möller
Privatsammlung Peter Becker
Privatsammlung Peter Mann

Primärquellen:
Helferich-Ahrens, Martina: E-Mail vom 21.01.2023
Landesarchiv Speyer
Online-Archiv der Arolsen Archives, Bad Arolsen
Olmer Pitt: Das alte Nieder-Olm im Photo, 125 Jahre Peter Eckes, Sonderausgabe 1982

Sekundärliteratur:

Bundeszentrale für politische Bildung: www.bpb.de/themen/migration-integration/afrikanische-diaspora/59423/schwarze-menschen-im-nationalsozialismus/

Herzog, Markwart (Hrsg.): Die „Gleichschaltung“ des Fußballsports im nationalsozialistischen Deutschland (Irseer Dialoge, Kultur und Wissenschaft interdisziplinär Band 20, Stuttgart 2016.

Schadt, Heribert, Alfred Fahr (30.08.2021), online verfügbar: www.1914-1930-rlp.de/alfred-fahr

Weisrock, Peter, Dunkle Zeiten. 1933-1945, in: Festschrift 125 Jahre TV Nieder-Olm 1893 e.V., Nieder-Olm 2018, S. 11-14.